Ganz wichtig: eine Flasche Sherry. Die ist für Rasmus gedacht. Da es meine erste Flottille ist, habe ich keine Ahnung, wer der Knabe ist. Sind wir etwa zu siebt an Bord der "Wagner"? Bloß nicht, es ist eng genug, aber wir haben ja nicht "Hilton" gebucht, sondern wollen binnen einer Woche von Rügen nach Kopenhagen und zurück segeln.
Ein toller Plan, nur: Wird der Wind mitspielen? Er muss, denn das sind mal locker 190 Seemeilen hin und zurück. Da darf uns der Wind nicht querkommen. Und jetzt kommt Rasmus ins Spiel, für den wir beim Auslaufen aus Breege einen Schluck Sherry ins Meer und dann uns einen in die Rachen schütten. Um Rasmus positiv zu stimmen, denn er ist, wie ich nun erfahre, der Chef der Winde, auch "Gott des Windes", genannt. Ob der sich mit Sherry abspeisen lässt? Das bezweifle ich spätestens dann, als an Bord der "Wagner" mit Skipper Michael, unserem Boot, eine göttliche Flasche Rum auftaucht. Also, wenn ich Rasmus wäre, ich hätte gemeutert.
Der erste Törn von Breege nach Vitte auf Hiddensee ist läppische 12 Seemeilen kurz, aber er hat seine Tücken, denn wir erreichen Vitte im "Nebel des Grauens". Als wir in den Hafen einlaufen, sind die "Greta" mit Skipper Niels und die "Kermit" mit Skipper Ulf schon da. Die "Bärbel" mit Skipper Uwe taucht kurz darauf aus der Suppe auf. Aber wie geplant grillen wir alle gemeinsam in der nebligen Dämmerung auf der Wiese. Gemütlich ist was anderes, aber trotzdem kommt Stimmung auf.
Das Auslaufen am nächsten Morgen soll um kurz nach neun erfolgen, denn der geplante Törn nach Klintholm beträgt mal eben schlappe 45 Seemeilen. Ausschlafen ist ab heute tabu. Schon um sieben Uhr morgens trifft man im Waschraum gut gelaunte Mitseglerinnen, allen voran Doris. Sie segelt auf der "Kermit", die ich insgeheim das "Regatta-Schiff" taufe, weil mit Ulf und Doris zwei Regattasegler an Bord sind. Wir laufen fast planmäßig aus. Der Wind spielt mit. Rasmus scheint auf Sherry zu stehen, denn mit einem passenden Nord-Ost um die Windstärke 4 segeln wir los. Es wird ein herrliches Segelerlebnis, das wir in vollen Zügen genießen. Und auch die Sonne kommt durch. Auf der "Wagner" läuft alles rund auf diesem Törn, nur beim Anlegen gibt es ein kleines Problem. Und das unter Zuschauern, denn unser "Regatta-Schiff" liegt bereits im Hafen. Anlegen unter den Augen kritischer Segelprofis ist eine Herausforderung für sich, und wenn dann jemand mit dem Auge der Leine den Pfosten nicht trifft und damit den Anleger verpatzt – das darf ich ruhig so offen sagen, denn dieser jemand bin ich – ist das natürlich ultrapeinlich, aber Michael behauptet netterweise, das könne doch jedem mal passieren…
In Klintholm werden dann eifrig die Nachrichten von der "Greta", der "Kermit", der "Wagner" und der "Bärbel" ausgetauscht. Auf Letzterer hat es einige Zwischenfälle gegeben. Eine Ohnmacht und eine schwere Seekrankheit. Nun heißt die "Bärbel" bei mir das "Krankenschiff", aber nur für den einen Abend, denn am nächsten Morgen ist die Crew wieder topfit und super drauf. Als in Klintholm am Abend nach den köstlichen Carbonara von Sabine plötzlich die Sailors von unserem Boot verschwinden und ich herausbekomme, wo sie den Rest des Abends verbringen, bekommt das "Regattaschiff" von mir einen zweiten Namen verpasst: "Partyboot".
Am nächsten Tag heißt das Ziel Dragör, wo auch der Kopenhagener Flughafen ist. Doch was sich Rasmus dann ausdenkt, ist nicht ohne. Wobei man dem Gott des Windes eigentlich nicht die Schuld geben kann an den übermächtigen Wellen. Aber Rasmus dreht dann auch selbst ziemlich auf, tobt bis Windstärke 7. Das wird ein Törn, den man nicht mehr vergisst. Die Boote stampfen, rollen und krängen. Ich bin früher viel auf der Ostsee gesegelt, aber das ist in der Tat ein außergewöhnliches Segel-Erlebnis. Zum Glück haben unsere Skipper, die sich unterwegs über Funk verständigen, ein Einsehen, dass dies für die Mannschaften an die Grenzen geht, und wir laufen das näherliegende Rödvig an. Dort wartet eine Belohnung auf die erschöpften Segler. Der Sommer ist ausgebrochen. Ein herrlicher Resttag an Land mit einer Klippenwanderung und einem erneuten Grillabend, jedenfalls bei uns. Auf der "Greta" wird auch an diesem Abend wieder hervorragend gekocht. Ich taufe sie das "Gourmet-Schiff", einen Namen, dem es auch auf der weiteren Reise alle Ehre macht.
Am nächsten Tag geht es pünktlich los gen Kopenhagen. Mal mit Gewitter, Regen, dann wieder Sonne, und ein paar fiese Böen sind auch dabei. Rasmus scheint ein wenig verschnupft, aber Michael ist eisern. No Rum for Rasmus. Wir vermuten, dem Windgott schmeckt der neue Sherry nicht. Vor der Brücke warten wir auf die anderen, denn wir besinnen uns darauf, dass wir eine Flottille sind und als solche wollen wir in Kopenhagen einlaufen. Und so machen wir es. Brav hintereinander her motoren wir in den Hafen. Leider gibt es bei der Wahl des Zielhafens eine kleine Tücke. Eine neue Brücke, die nur alle Stunde geöffnet wird. Das will keiner. Also fahren wir mutig in den Nyhavn. Mit Erfolg, denn an Backbord der Kaimauer warten vier Liegeplätze nur auf uns. Wenn Engel reisen, heißt das bei den normal Reisenden, bei den Seglern vielleicht Aloha Heja He. Was übrigens abends bei den Aftersail-Absackern bis zum Umfallen gespielt wird. Gut, hier in Kopenhagen gibt es keine Waschräume und keine Toiletten, aber am Anleger für die Vergnügungsschiffe ist ein öffentliches WC. Was für ein Spaß, mitten in der Stadt zu liegen! Jede Crew gestaltet den Höhepunkt unserer Reise anders. Auf dem "Gourmetschiff" wird wieder prächtig getafelt. Österreichischer Abend mit unseren Wienern und dann gemeinsamer Stadtrundgang, auf der "Bärbel" bleiben jedenfalls die Frauen an Bord und genießen den Liegeplatz, unsere Crew geht in eine Pizzeria. Sehr zu meinem Missfallen, aber ich kriege mich spätestens wieder ein, als wir den schönen Abend auf dem "neuen Partyboot", nämlich unserem, feuchtfröhlich ausklingen lassen. Wunderbar, dass der Plan Michaels und der anderen aufgegangen ist. Wir haben unser Ziel erreicht, auch wenn wir am nächsten Morgen schon wieder früh auslaufen müssen, denn nun geht das Ganze wieder retour.
Die Flottille befindet sich nach artiger Ausfahrtsformation spätestens bei der Brücke in wilder Auflösung. Unser Ziel heißt Klintholm. Mal Wind, mal Motor, aber alles unter der Sonne. Ein wunderbarer Segeltörn, und nun kommt auch bei mir Sportsgeist auf. Wir liegen nämlich vorn, aber können wir den Vorsprung behaupten? Die "Kermit" ist uns verdammt nah auf den Fersen. Jubelrufe schallen über das Meer. 7,8 und 8,1, nein 9! Kurz vor der Einfahrt in den Hafen entscheidet sich das Rennen. Die "Wagner" läuft als erstes Boot in den Hafen ein, und dieses Mal klappt es auch mit dem Anlegemanöver.
Mir wird bewusst, dass die Zeit sehr schnell vergangen ist, aber es bleibt ja noch unsere letzte Station: Hiddensee. Ich freue mich riesig, dass wir dieses Mal nach Kloster gehen. Die "Greta" liegt von Anfang an vorn. Bei uns an Bord lautet die Devise: "Bloß nicht gemütlich machen!" Kaum hast du dein Buch oder deine Zeitung herausgeholt, fällt Michael ein, wie man die Segel noch perfekter trimmen könnte. Die "Greta" erreicht Kloster als erstes Schiff.
Auf Hiddensee ist schönstes Wetter. Wir genießen die Insel, die einen wandern bei Sonnenuntergang zum Leuchtturm, wir mieten uns am nächsten Tag ein Fahrrad – und Uwe verknackst sich den Fuß.
Mittags wieder zurück nach Breege. Herrliches Wetter. Ich lese die Erlebnisse eines Arztes, der im Krieg auf Hiddensee gearbeitet hatte. Gerade bin ich an der Stelle, an der sein Boot im Bodden auf Schlick läuft, da gibt es so ein komisches Geräusch. Rumms, wir sitzen in der Fahrrinne auf Schiet. Dank unseres Ankerweitwerfers Jens können wir zwanzig Minuten später weiter.
In Breege machen wir Flottille mal anders. Wir lagern alle gemeinsam mit dem Essen, das jede Crew aus den Resten zaubern konnte und den Getränken am Steg um die "Bärbel" herum und lassen die Segelreise zusammen ausklingen. Endlich kann ich mal vom "Gourmet-Schiff" kosten. Lecker! Am nächsten Morgen Übergabe der Boote. Schade, schon vorbei. Da steckt mir Daniel einen Zettel zu und bittet mich, etwas über diese Reise zu schreiben. Gern doch! Es war fantastisch! Danke an die Planer, Skipper und alle anderen Mitsegler!